Miguel Ruiz
Der Gastarbeiter, der geblieben ist

Mohtashim wurde im März 1984 in Multan in Pakistan. Er ist der Ältester von drei Kindern und hat in Deutschland das Studium der Astrophysik mit einer Dissertation beendet.

Kindheit:

„Meine Schulzeit hat mir viel Spaß gemacht, da ich so viele Freiheiten hatte. Ich war wie ein wildes Kind und habe meine Lehrer oft geärgert. Das machte mir Spaß. Meine Eltern haben mir nie ihre Brille auf meine Nase gesetzt. Deshalb sehe ich die Welt auch anders als sie oder meine Geschwister.“

Ankunft:

„Ich bin nicht vor meinen Eltern weggelaufen, aber vor den Dingen, die dort waren. Meine Kindheit war vorbei. Was danach kam, gefiel mir nicht. So entschied ich mich, nach Leipzig zu gehen. Am Anfang hatte ich viele Probleme. Zum Glück lernte ich sehr gute Menschen hier kennen und habe mich wieder wie ein Kind gefühlt.“

Koffer:

„Warme Klamotten, scharfe Gewürze, Wörterbücher und Bilder von meiner Familie. Als ich in Leipzig ankam, habe ich mein Gepäck in einem Schließfach im Bahnhof eingeschlossen und mich auf Wohnungssuche begeben.“

Empfang:

„Mit sehr warmen Herzen und rotem Teppich. Mein bester Freund lebte mit seiner Familie in einem Dorf bei Leipzig. Er hat mir sehr geholfen in schlechten wie in guten Zeiten. Durch ihn und seine Familie bin ich schnell hier heimisch geworden. Keine Sekunde dachte ich an die Rückkehr.“

Empathie:

„Ich hatte bald das Gefühl, Weltbürger zu sein und gelernt, was es dafür braucht: Es sind die Menschen, Freunde, Kollegen und Familie. Die Leute haben mich akzeptiert, egal welche Kleidung ich trage oder was ich gegessen habe. Die Oma meines Freund wusste, dass ich gern scharf esse, und hat extra für mich die Gewürze besorgt. Sie wollte, dass ich mich bei ihr wie zuhause fühle. Wir sprachen nicht dieselbe Sprache, sie konnte kein Englisch und ich kein Deutsch. Das ist Empathie.“

Sprache:

„Ich habe Deutsch erst spät richtig gelernt. Die Kuschelphase an der Universität war vorbei. Ich wollte im akademischen Betrieb bleiben und brauchte die Sprache. Dennoch wurde ich nicht zum Lernen gezwungen. Ich wollte einfach nur Spaß haben. Wenn die Menschen zusammen am Tisch sitzen und einer einen Witz erzählt, lachen alle – nur ich nicht. Ich fühlte mich nicht als Teil ihrer Gemeinschaft. Um eine emotionale Verbindung entwickeln zu können und sich in die Gesellschaft erfolgreich zu integrieren, braucht man die Sprache.“

Zuhause:

„Mein Zuhause ist inzwischen hier. Wenn man ins Ausland reist, merkt man erst, wie schön es hier ist. Dieses Gefühl hatte ich auch, als ich meine Eltern in Pakistan besuchte. Als wir uns trennten, war ich ein wenig traurig, aber auf dem Flughafen in Frankfurt war ich so viel entspannter und fühlte mich wohl. Ich denke, dass es für mich vor allem die Menschen sind, die mir das Gefühl von Geborgenheit geben.“

Werte:

„Empathie, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit. Wenn ich fühlen kann, was du fühlst, wenn ich weiß, was du brauchst oder wovor du Angst hast, und ich dir dann zur Seite stehe und dich beschütze, dann siehst du in mir so etwas wie einen Bruder. Alles macht dann viel mehr Spaß. Wir haben alle die gleichen Gefühle, aber wir können uns gegenseitig andere Wege aufzeigen.“

Vertrauen:

„Wenn jemand neu nach Deutschland kommt, dann würde ich ihm den Rat geben: Vertraue den Menschen.“

Heimat:

„Meine Heimat ist da, wo ich mich geborgen fühle. Jetzt ist sie hier. Sollte ich diese Geborgenheit verlieren, werde ich das Land verlassen.“