Miguel Ruiz
Der Gastarbeiter, der geblieben ist
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… ist 64 Jahre alt und in Murcia im Südwesten Spaniens geboren. Seit dem 13. Juli 1973 ist er in Deutschland. Miguel Ruiz ist einer der letzten Gastarbeiter, die aus Spanien nach Deutschland kamen und ist geblieben. Erste Station: eine Konservenfabrik in Salzgitter- Ringelheim. Er hat zwei erwachsene Kinder, die beide in Deutschland geboren wurden.
Ankunft:
„Als ich mit 18 Jahren als Arbeitskraft in der Landwirtschaft in Frankreich war, war es ein großes Abenteuer. Es war leicht für mich, da ich die Sprache in der Schule gelernt hatte. Wir waren jung. Da hat man alles geschafft. In diesem kleinen Dorf traf man sich in einer Kneipe und, da ich die Sprache kannte, habe ich mich einfach dazugesetzt. Nach kurzer Zeit habe ich mit der Mannschaft dort Fußball gespielt. Das waren sehr nette Leute.“
Ankunft:
„Ich hatte immer gehofft, einen Arbeitsvertrag in Deutschland zu bekomme. Denn da konnte man gutes Geld verdienen. Mein Vater schickte ein Telegramm, als der Arbeitsvertrag aus Deutschland zuhause eingetroffen war. Es war einer der letzten Arbeitsverträge, die Deutschland mit Spanien geschlossen hatte. Im Juli fing mein Leben hier in Deutschland an. Die ersten Jahre waren schöne Jahre. Ich kannte niemanden und konnte kein Deutsch. Mein Arbeitgeber aber sprach gut Spanisch. Wir sind von Anfang an gut ausgekommen. Er mochte mich gern und hat mich oft nach Hause eingeladen. Die Zeit war sehr gut. Die Beziehungen zu den Deutschen in dem kleinen Dorf Ringelheim waren super. Viel lockerer als heute. Die Leute waren beschäftigt. Arbeitslosigkeit gab es in dem Dorf nicht. Heute hat sich leider vieles geändert.“
Abfahrt:
„Ich hatte den Arbeitsvertrag und wir mussten uns einer großen Untersuchung durch deutsche Ärzte unterziehen. Dann bekamen wir ein Zugticket und trafen uns in Madrid. Aus allen Ecken Spaniens. Es gab dort besondere Züge für die Gastarbeiter. Im Zug hatten viele Heimweh und Sehnsucht nach ihrer Familie. Da flossen auch einige Tränen. Wir kamen nach Köln und wurden von dort über ganz Deutschland verteilt. Jeder hatte ein Schild mit einer Nummer: die Postleitzahl des Ortes, wo er hinmusste. Die Postleitzahl konnte ich vorzeigen und der Fahrdienstleiter konnte mir sagen, wo ich aussteigen musste. Mit dieser Nummer bin ich sicher nach Ringelheim gekommen. Mein erster Gedanke: Wie soll ich hier zurechtkommen. Denn ich konnte kein Deutsch, nur Spanisch und Französisch. Zu meiner großen Überraschung stand mein Arbeitgeber am Bahngleis, holte mich ab und brachte mich zur Fabrik. 50 Leute konnten dort in Baracken schlafen. Es war ein normales Haus mit sechs Betten in einem Zimmer, gemeinsame Küche und Bad.“
Koffer:
„Im Koffer hatte ich auf jeden Fall keinen Mantel. Ich wusste nicht, dass es hier so kalt ist. Ich hatte ein Buch mit, was ich auch immer noch besitze: „Das Leben ist ein Traum“ von Calderon de la Barca. Das Buch hat mich überallhin begleitet. Außerdem hatte ich noch normale Klamotten mit, Unterhosen, Hemden. Ein Jugendbuch hatte ich noch dabei: „Wer die Nachtigall stört“ von Harper Lee. Von klein auf war ich eine Leseratte. In meinem Koffer war kein Platz für Fotos.“
Sprache:
„Einen ersten Sprachkurs habe ich belegt, als ich bereits zehn Jahre in Deutschland war. Alles, was wir zuvor gelernt hatten, kam von den Mitarbeitern, Nachbarn und Freunden in Ringelheim. Mein Chef hatte mir den Tipp gegeben, jeden Morgen eine Zeitung zu kaufen, auch wenn ich nichts verstand. Die Wörter, die du dann liest, kommen langsam. Ich würde jedem, der Deutsch lernen will, diesen Tipp geben. Für Sprachkurse hatten wir keine Zeit. Wichtig war damals, dass wir gesund und stark waren, um die Arbeit zu machen.“
Zuhause:
„Nach etwa 15 Jahren war hier in Braunschweig mein Zuhause. Ich hatte mir ein gutes, soziales Umfeld aufgebaut. Dazu braucht es Anerkennung, Geborgenheit und Freunde. In meiner Freizeit konnte ich alles tun, was mir Spaß machte. Besonders bei der Aktion „Café International“. Da war ich in meinem Element. Da konnten wir mit den Bürgern Braunschweigs diskutieren und ihnen erklären, warum wir hierhergekommen sind und ein Teil von Braunschweig sind, obwohl wir woanders geboren sind. Oder warum sind wir stolze Fans von Eintracht Braunschweig sind. Wir wollten den normalen Leuten klarmachen, dass wir ihre Nachbarn sind, die zwar aus einem anderen Land stammen, aber gern hier leben und möchten, dass sie unsere Nachbarn sind.“
Deutschland:
„Ich hätte mir gewünscht, gleich am Anfang die Sprache lernen zu können. Das ist sehr wichtig, um schnell mit den Leuten in Kontakt zu kommen und deutsche Freunde zu finden. Dann kann man sich auch besser eine eigene Meinung bilden. In Deutschland gibt es wunderbare Leute und ich bin besonders begeistert von der jungen Generation. Denn sie nehmen das Leben ernst. Das find ich super. Generell kann ich sagen: „Ich liebe dieses Land und ich liebe diese Leute!“ Ich weiß genau, wer ich hier bin und wo ich stehe. Meine Geschichte hat sich hier verwurzelt: Hier bin ich, hier werde ich auch bleiben.“